Traurig sein fällt mir einfach leichter
Er hat viele Kriege geführt mit der Musikbranche, ehemaligen Bandkollegen und in letzter Konsequenz auch mit sich selbst. Nun kehrt Lloyd Cole mit einem seiner besten Alben zurück und erklärt, warum Gute Laune nicht unbedingt das ist, was sein neues Werk Broken Record maßgeblich beeinflusst hat.
Es ist früher Vormittag, genau genommen 10.30 Uhr und Lloyd Cole hat in einem Hamburger Hotel sitzend bereits zwei Interviews hinter sich, schenkt Kaffee ein und wischt sich über den Mund. Ich weiß manchmal nicht, wie ich mich bedanken soll, aber dass die Leute immer noch so großes Interesse an meiner Musik haben, ehrt mich sehr. Gern geschehen, möchte man ihm entgegnen, wenn da nicht ein paar unbequeme Fragen wären, die man dem hochsympathischen Sänger im Anschluss stellen muss.
Zum Beispiel, ob er sich auch 26 Jahre nach dem Release seines Bahn-brechenden Debütalbums Rattlesnakes daran erinnern kann, was ihm und seiner ehemaligen Backingband The Commotions durch den Kopf ging als sie die Platte mit einem Budget von gerade einmal 30.000 englischen Pfund einspielten und plötzlich überall als Indie-Helden gefeiert wurden? Schwer zu sagen, aber die Produktionskosten waren angesichts der Verkaufszahlen ein Peanut. Wir wussten allerdings gar nicht wie uns widerfuhr: Plötzlich standen da nicht mehr 100 Leute im Saal, sondern Tausende und alle kannten die Texte, wundert sich Cole und lacht, als er feststellt, dass dies wohl sein erster Rockstarmoment im Leben war.
Danach veröffentlichte er mit den Commotions zwei weitere Alben, ehe Anfang der Neunziger sein Schaffen ganz im Zeichen der selbst gewählten Solokarriere stand. Die ersten Alleingänge zeichneten sich jedoch durch eine gewisse Orientierungslosigkeit und Düsternis aus seine Platten hießen nicht umsonst Dont Get Weird On Me Babe (1991) oder Bad Vibes (1993). Ich kann leichter traurig als glücklich sein, erklärt Cole das eigene Songwriting, egal wie du es drehst, so funktionieren die Songs bei mir in der Regel am besten: Auf Grundlage melancholischer Inhalte.
Was uns direkt in die Gegenwart befördert zu seinem neuen Album Broken Record und der Tatsache, dass die einzelnen Stücke zwar beschwingt wie selten klingen, die Inhalte aber umso düsterer werden je mehr der Rock die Platte preisgibt. Woran liegt das? Mein Motivation war es, ein RocknRoll dominiertes Werk einzuspielen. Allerdings kann ich bei meinen Lyrics schwer aus mir raus und finde die Tatsache erstaunlich, dass desto lauter die Lieder sind, die Texte immer dunkler werden.
Trotzdem lässt sich konstatieren, dass Lloyd Cole mit Broken Record sein fulminantes Spätwerk fortsetzt, alle Register zieht und zwischen harschen E-Gitarren und feinfühligen Soul eben doch die ruhigen Songwriter-Passagen entfacht, die man an seinem Werk so schätzt.
Auch wenn es die teils pechschwarzen Lyrics vermuten lassen mit all ihren Einsamkeitsmomenten und Trennungsszenarien ist Cole selbst bestens aufgestellt. Beschwert sich aber, dass dem Produkt Album nicht mehr so viel Aufmerksamkeit geschenkt werde, wie es sie verdient hätte. Ständig nur MP3s und das wars. Was machen die Leute eigentlich, wenn ihnen die Festplatte abschmiert? Wo sind dann all die Sachen hin, mit denen sie so viel verbinden?
Fragt er scherzhaft und erzählt, dass seine Frau immer noch eine der wichtigsten Einflüsse für seine Musik sei: Letztens bat sich mich Nada Surf zu hören und ich muss zugeben, dass mir ihre neuen Sachen besser gefallen als die älteren Alben aus den Neunzigern. Vollends angetan haben es ihm jedoch The Walkmen, die genau jene Stimmung entfachen, die Cole ebenfalls mag wie er erklärt.
Ihre Songs sind alles andere als gut gelaunt, aber die Art und Weise, wie sie vortragen werden, lässt es dem Hörer zu, sie zu jeder Gelegenheit zuhören und nicht nur, wenn man traurig ist. Etwas Ähnliches hat es auch mit der Magie von Lloyd Cole auf sich.
Und wenn Broken Record im Gegensatz zu den Vorgängern vielleicht nicht sofort zündet, sollte man dem Album ein wenig Zeit geben und Cole mehr als nur einmal bei all seinem Barmen und Leiden zuhören. Die Schlacht mit sich selbst hat er zumindest gewonnen, erneut über Umwege.
Publication: MTV
Publication date: 21/09/10